Trump gegen Kim: Raketenpoker im Nordkoreakonflikt

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Die Welt am Rande eines Atomkrieges – ein Szenario wie aus einer anderen Zeit. Wie vor 55 Jahren in der Kubakrise versuchen die USA mit massivem Druck die Raketenbedrohung durch ein anderes Land zu verhindern, die als größte Gefahr für Amerikas nationale Sicherheit gesehen wird. Nach den wiederholten Raketentests Nordkoreas eskalierte die Situation, als US-Präsident Donald Trump mit „Feuer und Wut“ („fire and fury“) drohte, wie es „die Welt noch nicht gesehen habe“, und einen Flugzeugträger sowie einen Langstreckenbomber in die Region schickte, begleitet von japanischen Kampfjets. US-Außenminister Rex Tillerson schloss ein militärisches Vorgehen nicht aus, „alle Optionen“ müssten auf dem Tisch bleiben. Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un kündigte daraufhin an, einen Raketenangriff auf die US-Pazifikinsel Guam zu prüfen und betonte über seine Streitkräfte: „Ein sachlicher Dialog ist mit so einem Typen bar jeder Vernunft nicht möglich, nur mit absoluter Stärke ist ihm beizukommen“. Der UN-Sicherheitsrat beschloss am 5. August einstimmig, die Sanktionen gegen Nordkorea auszuweiten, mit dem Ziel dessen Exporteinnahmen um ein Drittel zu reduzieren. Washington verkündete ein Reiseverbot für US-Bürger nach Nordkorea.

Ein massiver Militärschlag und der Einsatz von Atomwaffen rückten in den Bereich des Möglichen, 72 Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Selbst wenn die Drohungen nur symbolisch gemeint waren, blieb die Gefahr, dass in der akuten Duell-Situation ein Fehler oder Missverständnis eine nicht mehr aufzuhaltende Gewaltspirale in Gang setzt.

Im Spiel mit dem nuklearen Feuer hielt die Welt den Atem an. Nervös reagierten die Nachbarstaaten Südkorea, Japan und China auf die Spannungen. Südkoreas Präsident Moon Jae-in warnte, Nordkorea nähere sich mit der Entwicklung von nuklearen Interkontinentalraketen der roten Linie. Japan brachte Raketenabwehrsysteme in Stellung. Und China als letzter wichtiger Verbündeter Nordkoreas verkündete gemäß der UN-Sanktionen einen sofortigen Einfuhrstopp für bestimmte Produkte aus Nordkorea, das mehr als 80 Prozent seines Außenhandels mit China abwickelt. Zugleich forderte es beide Seiten zur Vernunft auf: Nordkorea solle sein Atom- und Raketenprogramm einstellen, die USA und Südkorea sollten ihre Militärmanöver aussetzen und an den Verhandlungstisch zurückkehren. Dessen ungeachtet starteten die USA und Südkorea am 21. August ein großangelegtes Manöver, bei dem „ausschließlich defensiv“ ein Atomangriff auf Südkorea simuliert wurde.

Kontrollierte Eskalation?

Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel warnte vor der Eskalation durch die „unfassbar kriegerische Rhetorik“, die die Welt schlafwandlerisch in einen großen Krieg hineinziehen könne, wie vor hundert Jahren beim Ersten Weltkrieg.[2] UN-Generalsekretär António Guterres forderte, „die Rhetorik herunterzufahren und die Diplomatie hochzufahren“.

Auch in der US-Regierung wuchsen Befürchtungen, die Dynamik könne außer Kontrolle geraten. US-Verteidigungsminister James Mattis warnte vor einer katastrophalen militärischen Auseinandersetzung. Selbst Trumps rechte Hand, Stephen Bannon, konnte unmittelbar vor seiner Entlassung keine militärische Lösung erkennen, bei der nicht zehn Millionen Menschen in Seoul in den ersten 30 Minuten sterben würden.[3]

Angesichts solcher Risiken wurde die Wortwahl etwas vorsichtiger. Während Kim vor einem Angriff auf Guam zunächst das „dumme und blöde Verhalten der Yankees“ beobachten wolle, nannte Trump diese Zurückhaltung eine „weise Entscheidung“. Generalstabschef Joseph Dunford, der ranghöchste US-Militär, sah im Krieg die letzte Wahl, wenn Diplomatie und Wirtschaftssanktionen in Pjöngjang keine Wirkung zeigten. Südkoreas Präsident Moon Jae-in war nun zuversichtlich, dass der Konflikt sich diplomatisch beenden lasse, und zeigte sich zu Gesprächen bereit, wenn Nordkorea auf weitere Provokationen verzichte und seine Raketen- und Atomtests einstelle.[4]

Die USA und Japan beschlossen, ihre Verteidigungszusammenarbeit auszubauen, besonders in der Raketenabwehr – gegen den Widerstand großer Teile der japanischen Bevölkerung, die gegen die Militarisierung des Landes protestieren. So rief bereits im Frühjahr die „Science Foundation“ von Japan, die 850 000 Wissenschaftler repräsentiert, zum Boykott militärischer Forschung auf. Der enge Schulterschluss Japans mit den USA ist auch ein Signal an China, etwa im Streit um die Senkaku-Inseln. Damit avanciert das Atom- und Raketenprogramm Nordkoreas zum Brandbeschleuniger für die Konflikt- und Rüstungsdynamik in Ostasien.
Wie weit fliegt Nordkoreas Rakete?

Schon lange ist das isolierte und hochgerüstete Regime in Pjöngjang bemüht, sich durch sein Atomwaffen- und Raketenprogramm gegenüber externer Einflussnahme und Interventionen abzusichern, es aber auch als Mittel zu benutzen, um Anerkennung und Einfluss zu gewinnen. Zwar unterzeichnete Nordkorea 1985 den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV), weigerte sich jedoch bis 1992, seinen Nuklearreaktor und eine Wiederaufarbeitungsanlage vollständig durch die Atomenergiebehörde (IAEO) überwachen zu lassen. Nach Aufnahme der Inspektionen wurden Unstimmigkeiten bei der Plutoniummenge festgestellt, das überzählige Plutonium konnte für ein Atomwaffenprogramm verwendet werden. Die folgende Krise im Frühjahr 1994 führte fast zu einem Krieg zwischen den USA und Nordkorea, konnte aber durch Vermittlung des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter beigelegt werden.[5]

In einem Rahmenabkommen verpflichtete sich Nordkorea, die Atomwaffenentwicklung einzustellen und sollte im Gegenzug bei seinem Atomenergieprogramm unterstützt werden. Die Umsetzung verzögerte sich immer wieder, bis unter US-Präsident George W. Bush Nordkorea wieder als Schurkenstaat galt. Im Jahr 2003 kündigte das Land seinen Austritt aus dem NVV an und beendete die Zusammenarbeit mit der IAEO. Die im gleichen Jahr beginnenden Sechsparteiengespräche Nordkoreas mit dem USA, Russland, China, Südkorea und Japan blieben ohne Ergebnis. Im Jahr 2006 zündete Nordkorea seine erste Atomwaffe.

Zugleich entwickelte Nordkorea stetig sein ballistisches Raketenprogramm weiter, zunächst mit Unterstützung durch die Sowjetunion und China, und avancierte zu einem der aktivsten Exporteure von Raketentechnologie in andere Länder wie Pakistan, Libyen und Iran. Das Land verfügt über mehrere hundert stationierte Kurz- und Mittelstreckenraketen und konnte durch mehr als 110 Raketenversuche, die meisten unter Kim Jong-un, deren Reichweite erhöhen. Mit der Taepodong-2 Rakete wurden 2012 und 2016 zwei Satelliten ins Weltall befördert. Zwei weitere Interkontinentalraketen, Hwasong-13 (Nato-Bezeichnung KN-08/-14) und Hwasong-14 (KN-20), sind in Entwicklung. Letztere wurde am 4. und 28. Juli 2017 erstmals getestet. Aufgrund der Flugbahn in große Höhen bei geringer Reichweite ins Japanische Meer wurde geschätzt, dass die Rakete ohne Nutzlast theoretisch in einer weniger steilen optimalen Flugbahn bis zu 10 000 km weit fliegen und somit die Westküste der USA erreichen könne. Es ist jedoch eher wahrscheinlich, dass die Rakete mit einer Nutzlast von rund 500 kg – die etwa einem nuklearen Sprengkopf Nordkoreas entsprechen könnte – allenfalls bis Alaska fliegt, und vielleicht nicht einmal bis dorthin.[6]

Allerdings ist es nur eine Frage der Zeit, bis Nordkorea die Fähigkeit erlangt, das Festland der USA zu erreichen und dann vielleicht alle Ziele weltweit. Dabei beeinflussen sich technische Fortschritte des Nuklear- und Raketenprogramms gegenseitig: Je kleiner der Atomsprengkopf, umso weiter fliegt die Trägerrakete; je größer deren Reichweite, umso größer kann der Sprengkopf sein. Schließlich ist auch die Zielgenauigkeit relevant, denn mit wachsender Reichweite wird es zunehmend schwieriger, ein bestimmtes Ziel zu treffen. Dagegen dürfte es deutlich einfacher sein, von Nordkorea aus Guam zu treffen. Ebenso gefährdet ist Südkoreas Metropole Seoul, die bei einer Entfernung von knapp 60 km von der Demarkationslinie kaum zu verteidigen und somit Nordkoreas wichtigstes Faustpfand ist. Jede Konflikteskalation würde Millionen Menschen gefährden.

Für manche kamen die Fortschritte Nordkoreas in der Entwicklung der Interkontinentalraketen überraschend. Jüngste Analysen gehen davon aus, dass Nordkorea ein Raketentriebwerk verwendete, das möglicherweise aus ukrainischen oder russischen Beständen nach Ende des Kalten Krieges stammt, was sogleich zu gegenseitigen Schuldzuweisungen in den Medien beider Länder führte.[7] Wie diese Triebwerke nach Nordkorea gelangten, ist ungeklärt.
Vom Wettrüsten zur Abrüstung

Die starken Pendelbewegungen im Umgang mit Nordkorea bergen das Risiko eines großen Krieges. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, liegt auch an den verpassten Chancen nach Ende des Kalten Krieges, dem Atomwaffenzeitalter ein Ende zu bereiten. Dafür tragen die USA und ihre Verbündeten eine erhebliche Verantwortung. Durch eigene Rüstungsprogramme, die ungehemmte Osterweiterung und militärische Interventionen in anderen Ländern haben die Nato-Staaten einen substanziellen Anteil an der Destabilisierung der internationalen Beziehungen, ganz zu schweigen von der neoliberalen Globalisierung und anderen Krisenphänomenen.[8] Alles zusammen führt weltweit zu großen Verunsicherungen, die sich in steigenden Rüstungsausgaben widerspiegeln.

Auf die Spitze getrieben wurde dies schon durch die Bush-Administration, die ihre Nuklear- und Raketenarsenale modernisierte und auf Raketenabwehr und Weltraumrüstung setzte, dies aber Staaten verweigerte, die sie zur „Achse des Bösen“ rechnete. Während Nordkorea damals verschont blieb, wurde im Irakkrieg 2003 ein Land mit Angst und Schrecken („Shock and Awe“) überzogen, das keine Massenvernichtungswaffen und Raketen mehr hatte. Dies galt nicht nur Nordkorea, sondern auch Russland und China als weiterer Ansporn, auf die eigene militärische Stärke zu setzen. Entsprechend dürften die jetzige Drohpolitik Trumps gegenüber Nordkorea, Iran oder Venezuela und die forcierte Aufrüstung der Verbündeten ähnlich kontraproduktiv sein und einen Antrieb für neue Aufrüstung weltweit darstellen.

Heute erleben wir die erwartbaren Folgen dieser verantwortungslosen Politik, die die Bedingungen für Abrüstung und Friedenssicherung immer weiter untergraben hat. Während die Nicht-Atomwaffenstaaten sich weitgehend an den 1995 verlängerten NVV gehalten haben, verstoßen die Atomwaffenstaaten bis heute gegen ihre Verpflichtungen, das nukleare Wettrüsten einzustellen und abzurüsten. Zugleich wurden die Bestrebungen für eine atomwaffenfreie Welt unterminiert. So fand in der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution A/RES/51/45 von 1996 eine große Mehrheit, um Verhandlungen über einen Vertrag zum Verbot und zur Abschaffung aller Atomwaffen in Gang zu setzen. Damals stimmten China, Indien, Nordkorea und Pakistan noch dafür, nicht jedoch die USA und ihre Nato-Partner. Am 7. Juli 2017 vereinbarten schließlich 122 UN-Staaten in New York den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen. Nicht beteiligt waren wiederum die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten, darunter auch Deutschland, die weiter an der nuklearen Abschreckung festhalten. Der Vertrag ist deswegen bemerkenswert, weil er von Regierungen zusammen mit Vertretern der Zivilgesellschaft ausgearbeitet wurde. Er bietet eine Alternative zur derzeitigen nuklearen Aggression und Eskalation, und eröffnet die Chance, die Bedrohung durch Atomwaffen ein für alle Mal zu beseitigen.[9]

Dies zeigt, dass diplomatische Lösungen einen Ausweg aus der Krise ermöglichen können. Im aktuellen Krisenfall sollten schleunigst die Sechsparteiengespräche fortgeführt werden, mit dem Ziel einer Vereinbarung mit Nordkorea nach dem Vorbild des Iran-Abkommens. Zudem gilt es, eine atomwaffenfreie Zone in der Region zu schaffen und ein Moratorium über Raketentests auszusprechen, das auf den globalen Kontext ausgeweitet werden könnte.

Die Europäische Union bietet sich dabei als Vermittler an, um die diplomatischen Bemühungen für eine friedliche Beilegung der Nordkoreakrise zu verstärken und den konstruktiven Dialog zwischen Nordkorea und der internationalen Gemeinschaft zu unterstützen. Dabei könne nach Aussagen der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini auch die Expertise bei den Atomverhandlungen mit Iran zum Einsatz kommen.

Klar ist jedenfalls schon jetzt: An einer Politik der Deeskalation führt kein Weg vorbei. Jede andere Option bedeutet ein Spiel mit dem nuklearen Feuer und dem Leben von Millionen Menschen.

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